Lavafeld auf Island - Vulkanausbruch von 1783 bis 1784
Das Foto, das unser lieber Paul (Isländer mit deutscher Mutter)
aufnahm, zeigt ein Lavafeld, das sich über viele Kilometer
erstreckt. Als Hölderlin ein Teenager war, brachen von Juni 1783
bis Februar 1784 der Vulkan Grímsvötn und die Laki-Krater aus. Das
Ereignis hatte Auswirkungen auf das globale Klima. Der Winter war
eisig, brachte Hungersnöte und Missernten. Das riesige Lavafeld
ist heute mit einem dicken Moosteppich bedeckt, auf dem man zwar
laufen kann, aber er birgt Gefahren, weil man in Gesteinsspalten
treten kann, die vom Moos überwachsen und nicht gleich zu erkennen
sind.
Kelowna, Okanagan Valley, B.C., Kanada
Das Valley mit seinem milden Klima gilt als der Früchtekorb
Kanadas.
Manche Vorfahren meiner Urgroßmutter Margaretha Dobler und meiner
Ururgroßmutter Katharina Schaal wanderten zunächst gen Osten nach
Bessarabien, verließen aber die Kolonie, als Bessarabien unter
rumänische Herrschaft mit neuen, unangenehmen Einschränkungen für
die Siedler kam. Nach den Erzählungen der Urgroßmutter wanderten
daraufhin etliche Bessaraber, darunter auch Großmutters Nachbar von
gegenüber, nach Kanada aus und siedelten im Okanagan Valley in der
Provinz British Columbia, hauptsächlich in Kelowna (siehe Foto).
Penticton, Okanagan Valley, B.C., Kanada
Dank eines ausgeklügelten Bewässerungssystems konnte das Okanagan Valley für die Landwirtschaft nutzbar gemacht werden.
Farm in New South Wales, Australien
Das Foto zeigt den ehemaligen Nachbarn meiner Großeltern aus Pawlovka in Bessarabien, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg allein auf ein Schiff nach Australien begeben hatte. In der Nähe von Sydney kaufte er sich Land, um Obst und Gemüse anzubauen. Seine Mandarinenbäume waren am besten. Jedoch machten ihm Hitze und Trockenheit immer zu schaffen. Er pflanzte daher großflächig saftigen Klee an, damit die Buschbrände nicht gleich sein Haus vernichteten. Bis drei Jahre vor seinem Tod mit 87 Jahren hatte er noch jeden Morgen vor Sonnenaufgang seinen Küchengarten gewässert, immer die Giftschlangen im Blick, und schimpfte über den schlechten Boden.
Sydney, New South Wales, Australien
Bis zuletzt hatte Bruno Heimweh nach Bessarabien, daher freute er sich immer über Besuch aus Deutschland.
Mannheim um 1785
Die Rheinebene in der Gegend um Mannheim und Speyer wurde in den
Erinnerungen der Charlotte von Kalb als eine sehr südliche
(mediterrane) Gegend mit milden Wintern beschrieben, die sie an
Italien erinnerte.
In der Pfalz konnten schon damals Zitronen und Orangen, weiße
Feigen, Pfirsiche, Erdbeeren und Kirschen angepflanzt werden. Auch
von den Rosen und besonders den dunklen Nelken war Charlotte von
Kalb beeindruckt. Gut möglich, dass Hölderlin, der 1788 auf eine
Reise in die Mannheimer Gegend eingeladen wurde und neben Speyer und
Schwetzingen natürlich auch Heidelberg besuchte, auch in den Genuss
dieser Früchte kam. Spätestens in Bordeaux bewunderte Hölderlin die
vielen Zitronenbäume.
Johanna Goks Kirschen
Hölderlins Mutter Johanna Gok hatte in Nürtingen einen Küchengarten
und neben Weinreben natürlich auch Obstbäume. Sie kümmerte sich um
das Erbe ihres zweiten Ehemannes, Christoph Gok. Neben
Landwirtschaft betrieb sie einen Weinhandel.
Als Hölderlin Hauslehrer bei den Herrschaften Heinrich und Charlotte
von Kalb im fränkischen Schloss Waltershausen war, schwärmte
Charlotte von den süßen Früchten, die sie in ihrer Zeit in Mannheim
genoss, als ihr Mann als Offizier in seiner französischen Garnison
in Landau stationiert war. Charlotte war nur das harsche Klima
daheim im Landkreis Rhön-Grabfeld gewöhnt.
Hölderlin schrieb seiner Mutter nach Hause, dass die Freifrau von Kalb bei ihr sechs Maß Kirschwasser bestellen wolle. Hölderlins Mutter ließ wissen, dass die Erntezeit noch nicht gekommen sei und man erst noch einige Wochen warten müsse, bis die Kirschen schön reif und für die Obstbrände perfekt seien. Hölderlin schrieb seiner Mutter Ende Dezember 1794 aus Jena: "Mit dem Kirschengeist haben Sie große Ehre eingelegt. Ich soll Ihnen dafür und für Ihren Brief recht ser danken." (Große Stuttgarter Ausgabe, 6-1, S. 145)
Rindsrouladen in Rotweinsoße mit Spätzle (Turm zu Tübingen)
Als ich am 20. März 2016 das Klangsteinkonzert von Prof. Klaus
Fessmann im Hölderlinturm anlässlich des Geburtstages Hölderlins
besuchte, hörte ich einen kleinen Vortrag über das Turmleben
Hölderlins. Charlotte Zimmer, die Hölderlin und ihre alte Mutter
immer gut bekochte, servierte Hölderlin Rouladen mit Gurke und Speck
in einer Rotweinsoße mit Kartoffeln und Spätzle, dazu Bordeaux-Wein
und Bratbirnenmost. Der Duft der schweren Rotweinsoße erfüllte den
Raum. Fleischgerichte gab es nur dann immer, wenn frisch
geschlachtet wurde.
Es sei Hölderlin gegönnt, dass er noch im Alter einen guten Appetit
hatte.
Das Foto zeigt das Gericht, wie ich es immer koche, mit meinen
ersten vom Brett geschabten Spätzle.
Austern (Bordeaux)
Als Hölderlin als Hauslehrer im Hause des Konsuls Daniel Christoph Meyer tätig war, kam er auch in den Genuss von Seefisch und Meeresfrüchten. Während kleine Austern immer noch ein Armeleuteessen waren und an jeder Ecke billig verkauft wurden, galten die größeren Exemplare als opulentes Mahl und wurden von den wohlhabenden Familien gerne auch als Vorspeise gegessen. In schwäbischen Kochrezepten des 17. und 18. Jahrhunderts (Schwaben haben oft irische Wurzeln) stand geschrieben, dass Austern als Suppeneinlage mit Wein und als Ragout mit Mehl, Butter und Milch und Sahne (weiße Soße) verwendet oder überbacken wurden, ähnlich wie in Irland, England und Amerika, wo Muschelsuppen u.a. auch Clam Chowder (z.T. auch mit anderen Muscheln) genannt wurden.
Die französische Bevölkerung war damals schon bekannt dafür, die
Austern roh zu verspeisen, evtl. mit einem Spritzer Zitrone oder wie
in Schottland und Amerika mit einer Schalotten-Vinaigrette. Etwa 65
Kilometer südwestlich von Bordeaux befindet sich der kleine
Touristenort Arcachon, der u.a. neben Belon in der
Bretagne für die Austernzucht bekannt ist, denn Arcachon gilt als "die
Wiege der Austern".
Hölderlin hatte in seiner Zeit im Kloster Maulbronn und als
Theologiestudent im Tübinger Stift oft über die Speisen geklagt. Er
liebte gutes, schmackhaftes Essen (wer liebt das nicht?!). Ich kann
mir sehr gut vorstellen, dass er keine Scheu hatte, Austern und andere
Meeresfrüchte - in welchem Gericht auch immer - zu probieren. Er hatte
schon früh Georg Forsters 'Reise um die Welt' gelesen und war
neugierig auf andere Länder, Kulturen und Sitten... und Speisen.
Fleischpastete (Bordeaux)
Pasteten aller Art (Enten- und Gänseleber, Schweinefleisch, Kalbfleisch etc.) manchmal mit Bordeaux-Wein oder Sherry verfeinert, kalt als Vorspeise und warm als Hauptgang (als eine Art Pie) wurden Hölderlin sowohl im Schloss Waltershausen als auch in Frankreich serviert.
Butterbrot und Tee (Weimar)
Charlotte von Kalb schreibt in ihren Lebenserinnerungen, dass sie als Neuankömmling in Weimar gleich von Freifrau von Schardt (verh. Charlotte von Stein) in die Weimarer Gesellschaft eingeführt wurde. Charlotte von Stein, die Hofdame der Herzogin Anna Amalia, Goethes Ex-Geliebte und Patin der Kinder Charlottens, lud Charlotte von Kalb zu nachmittäglichen Damentreffen ein. Es gab wie in England Butterbrot und Tee, manchmal auch die süßen Brötchen, die in England Scones genannt werden. Dies behielt Charlotte bei, sodass Hölderlin beim Treffen mit Goethe und Herder bei Charlotte von Kalb in ihrem Wohnhaus in Weimar ebenfalls in den Genuss kam.
Gefüllte Kräuter-Forelle mit Wurzeln (Schloss Waltershausen)
Charlotte von Kalb (1761-1843) schreibt in ihren
Lebenserinnerungen, dass alle Schloss- und Dorfbewohner ab dem
Frühjahr nach der Schneeschmelze sämtliche Blüten, Kräuter, Früchte,
Beeren, Wurzeln und Pilze - also alles, was die Natur das ganze Jahr
bis zum nächsten Frost anbot - sammelte und verarbeitete; für die
gute Küche, aber auch für Haus- und Heilmittel.
Etwa ab 1770, also als Hölderlin geboren wurde, kamen bei
Charlottens Familie im Rahmen großer Sommerfeste und Festschmäuse
mit Gästen erstmals Kartoffeln auf den Tisch, was Charlotte sehr
stolz machte, eine kulinarische Neuheit präsentieren zu können, die
nicht von allen sogleich angenommen wurde.
Da Charlottens Familie Marschalk von Ostheim und auch ihr Ehemann
Freiherr von Kalb regelmäßig auf die Jagd gingen, standen neben Fasan,
Rebhuhn und Hase auch Hirsch, Reh und Wildschwein auf dem Speiseplan -
Hauptsache ein guter Braten mit Soße und Kartoffeln. Desweiteren wurde
auch in den Flüssen Saale und Unstrut gefischt. Karpfen gab es bei
Charlotte zu Weihnachten, ansonsten viele Süßwasser-Fische wie Döbel,
Barsch, Forelle, Saibling, die über dem Feuer gebraten und zur Würze
mit Kräutern verfeinert wurden. Wurzeln (Möhre, Steckrübe etc.) aller
Art waren oft als Sättigungsbeilage dabei. Anschließend gab es
Zuckerwerk als Nachtisch - zu Weihnachten Äpfel, Nüsse und Marzipan
als essbarer Christbaumschmuck.
Hölderlins Familie aus Lauffen und Nürtingen hatten auch Fische aus
dem Neckar gegessen... ebenso kam bei unseren Verwandten aus
Bessarabien der Fisch Kefal (türkisch für Meeräsche) aus dem
Schwarzen Meer auf den Tisch.
Hirschragout mit Pfifferlingen (Schloss Waltershausen)
Als Hölderlin im fränkischen Schloss Waltershausen seine erste
Stelle als Hauslehrer des Sohnes Fritz von Kalb bei den Herrschaften
Heinrich und Charlotte von Kalb angetreten hatte, nervte ihn
Freiherr (der arbeitslose 'Major') von Kalb, mit ihm auf die Jagd zu
gehen. Hölderlin war froh, selbst kein Tier auf der Jagd mit
Freiherr von Kalb erlegt zu haben, dennoch hatten ihm sicherlich die
Gerichte gemundet, die ihm im Schloss Waltershausen serviert wurden.
Hölderlin schrieb in einem Brief nach Hause, dass heute das ganze
Schloss aus dem Häuschen sei, weil der Herzog von Meiningen zum
Mittagessen erwartet werde... da wurde das Beste aufgetischt, was
Wald, Wiese und Fluss zu bieten hatten.
Das Foto zeigt ein Hirschragout mit Pfifferlingen und
Kartoffelklößen.
Im ersten Brief aus Waltershausen, den Hölderlin am 03. Januar 1794
seiner Mutter schickte, beschrieb er nicht nur die Freundlichkeit der
Schlossbewohner, sondern auch seinen Tagesablauf als Hauslehrer des
Zöglings Fritz von Kalb.
"Morgens zwischen 7 und 8 Uhr wird mir mein Koffee aufs Zimmer
gebracht, wo ich dann mir selbst leben kann bis 9 Uhr. Von 9 Uhr bis
11 geb' ich Unterricht. Nach zwölf wird zu Mittag gespeist. (NB. weil
Sie [meine liebe Mamma] mich wegen der sächsischen Kochkunst so
bedauerten, muß ich Ihnen sagen, daß hier eine Wiener Köchin ist und
der Tisch gar schön besezt.)
Nach dem Essen kann ich, wie auch Nachts bei dem Major [Freiherr von
Kalb] bleiben oder nicht, mit dem Kleinen [Zögling Fritz] ausgehen
oder nicht, arbeiten [dichten] oder nicht, wie ich will. Von 3 bis 5
Uhr [nachmittags] geb' ich wieder Unterricht. Die übrige Zeit ist
mein. Auch Nachts [abends] wird hier [warm] gespeist; und ich vergesse
unsern Nekarwein leicht bei dem treflichen Biere, das, wie von mir,
auch von der Herrschaft getrunken wird." (Große Stuttgarter Ausgabe,
6-1, S. 102)
Die Wiener Küche bot in gehobenen Gesellschaftsschichten ein warmes,
gekochtes Abendessen (Souper), was ja auch am Hofe des Kaisers Franz
Josef und seiner Sisi Mitte des 19. Jahrhunderts üblich war.
Hölderlin speiste daheim zu Mittag warm und kannte wie ich wohl von
zuhause nur das abendliche Vesper, also eine kalte Kleinigkeit, die
wie bei uns bis heute als 'Abendbrot' gegessen wird. Zwei warme
Mahlzeiten am Tag waren bei uns nicht üblich. Bei uns hier im
Südwesten (Pfalz, Baden und Württemberg) kenne ich von den Verwandten
und Bekannten die Bezeichnung "Nachtessen" als "Abendbrot", d.h. eine
Scheibe Brot mit Wurst, Käse, hartem Ei, Tomaten, (saure oder frische)
Gurke, Radieschen, Schnittlauch, Petersilie, Kresse - je nach
Jahreszeit.
Hühnerfrikassee mit Champignons (Schloss Waltershausen)
Zu seiner Zeit im Schloss Waltershausen war Hölderlin dank der Wiener Köchin mit edlen Braten und Wildgerichten aller Art, Suppen, Eingemachtem, Rouladen, Pasteten, Ragout und Frikassee, Tafelspitz, Klöße, Knödel, Nocken und Mehlspeisen wie Apfelstrudel und Pfannkuchen sowie mit Schmalzgebackenem (süß wie herzhaft) und als Fastenspeise mit Süßwasserfischen oder Ei (z.B. 'Armer Ritter') beköstigt worden. Im 18. Jahrhundert waren Wildgerichte ausschließlich für die Adligen bestimmt, erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie auch den Bürgern in Gasthäusern serviert (siehe 'Kulinarisches Erbe Österreichs', Webseite www.kulinarisches-erbe.at). Da durch die Französische Revolution die Adligen geköpft und somit deren vorzügliche Köch*innen bei Hofe arbeitslos gemacht wurden, schlossen sich die Köch*innen zusammen, suchten neue Wege und gründeten für die Bürger Wirtshäuser und Restaurants, wie wir sie heute kennen.
Linseneintopf (Nürtingen)
Im 18. Jahrhundert werden Spätzle bereits erwähnt, dennoch glaube
ich eher nicht, dass Linsen damals mit Spätzle und Saitenwürschtle
so gegessen wurden wie heute. Linsen allgemein, vor allem aber auch
die Alblinsen ("Alb Leisa") von der Schwäbischen Alb, erscheinen in
Kochrezepten aus dem 18. Jahrhundert hauptsächlich als Suppe bzw.
Eintopf, mit Zwiebeln, geräuchertem Bauchspeck, Schweinsohren und
Würsten, mit Petersilie, Majoran und Essig gewürzt.
Das Foto zeigt unseren Eintopf mit geräuchertem Bauchspeck
(Dörrfleisch), kleingeschnittenen Saiten, Kartoffeln und
Suppengemüse, mit Majoran (Dost) und einem guten Schuss hellem Essig
gewürzt. Daher werden die Linsen auch Saure Linsen genannt.
Hölderlins Mutter Johanna hatte einen großen Küchengarten, sodass ich glaube, dass sie neben Zwiebeln auch Karotten, Sellerie, Lauch und Petersilie verwendet hatte, zur weiteren Sättigungseinlage Knöpfle, vielleicht sogar Kartoffeln, Mehl und Fett zum Eindicken (Einbrennen) der Suppe. Meine Großmutter Hulda hatte früher immer die Erbsen- und Bohneneintöpfe eingebrannt. Dazu gab es keine Spätzle, sondern einfach ein Stück Brot.
Apfelküchle (Nürtingen)
Für Hölderlin und seine Geschwister gab es natürlich auch gebackene
Apfelringe. Die Äpfel stammten von der eigenen Streuobstwiese.
Bei uns gibt es dieses Gericht seit jeher regelmäßig zweimal im
Monat als Hauptmahlzeit. Die Scheiben werden in Teig gehüllt und
nicht im Tiefenfett ausgebacken. Die Vorfahren hatten bessere
Möglichkeiten zum wirklich heißen Braten und Brutzeln.
In Weimar hatte uns Goethes traditioneller, frittierter Beerenpfannkuchen mit einem Liebesgedicht garniert wirklich sehr gemundet.
Maultaschen - "Herrgottsbscheißerle" (Kloster Maulbronn)
Das Foto zeigt die Maultaschen, wie sie heute gerne gegessen
werden, klassisch mit Hackfleisch/Brät und Spinat gefüllt. Das Essen
hatte Hölderlin im Kloster Maulbronn sowie im Tübinger Stift gar
nicht geschmeckt.
Man sagt, dass die Maultasche von Mönchen des Klosters Maulbronn
(daher Maul im Name) erfunden wurden, um in der Fastenzeit
heimlich doch Fleisch essen und somit den Herrgott täuschen zu
können. Damals waren die Maultaschen geschlossen, d.h. sie sahen wie
italienische Ravioli aus. Traditionell werden sie in der Brühe
gekocht und am Gründonnerstag gegessen, die Reste am Karfreitag mit
Kartoffelsalat oder mit Ei in der Pfanne gebraten oder mittlerweile
auch wie Cannelloni mit Tomatensoße und Käse im Ofen überbacken. Die
Füllungen reichen heutzutage von Fisch, Wild, Pilzen und
(Frisch-)Käse bis zu Gemüse und Kräutern.
Onser Weihnachtsgänsle
In Bessarabien liefen zu Ostern bereits die Gänseküken im Gras
herum. Zur Weihnachtszeit standen diese junge Gänse gut im Fleisch,
sodass wir keine Füllung brauchten. Der gemauerte Ofen in der Küche
hatte genug Platz für mehrere Gänse, sodass Familie und alle Gäste
das zarte Fleisch genießen konnten, das einen feinen Eigengeschmack
hatte, den die Füllung sonst verfälscht hätte.
Die Gänse wurden zuvor mit Salz eingerieben und im Inneren
gepfeffert. Im Bräter wurden ihnen nur noch grobe Zwiebelstücke und
etwas Wasser hinzugegeben, bevor sie für 3 Stunden in den Ofen
kamen. Für die Soße wurden Flügel, Hals, Magen und Herz mit Zwiebeln
angebraten.
Meine Urgroßmutter und Großmutter servierten den Gänsebraten mit
Soße, schwäbischem Kartoffelsalat und eingelegter Rote Beete. Gans war
bei uns immer das Gericht, das wir zu Heilig Abend nach dem Kirchgang
um 18 Uhr gegessen haben, weil der Abend des 24. Dezembers für uns
(noch heute) das eigentliche Christfest ist, an dem es auch die
Geschenke gibt. In Bessarabien hatte mein Großvater, als er noch ein
Kind war, den Nachbarn Weihnachtsplätzchen gebracht und frohe
Weihnachten gewünscht. Er freute sich immer besonders, wenn er von den
Nachbarn wiederum andere Plätzchensorten bekam.
Bei Hölderlin gab es vermutlich auch eine Gans als Weihnachtsessen. In
den Briefen der Pflegefamilie Zimmer wird erwähnt, dass sich Hölderlin
das Weihnachtsgebäck, das ihm von der Familie in den Turm geschickt
wurde, "gut hat schmecken lassen".
Gesalzene Dampfnudel oder "Krischtle mit Soß"
Meine Großmutter machte nur gesalzene Dampfnudeln. Dazu reichte sie
in Zwiebeln gebratene Schweinekoteletts mit Soße und oft auch
gedämpfter Weißkohl (Schnittkohl) oder Kopfsalat in saurer Sahne.
Die Kruste hatte uns immer am besten geschmeckt.
Das Teigrezept nahm sie auch für Hefeklöße (Schupfnudeln). In einer
Pfanne mit Fett schmorte sie unter regelmäßiger Zugabe von etwas
Wasser Kartoffelstücke mit Zwiebel, Paprikapulver und geräuchertem
Dörrfleisch und ließ die Schupfnudeln gegen Ende der Kochzeit mit
geschlossenem Deckel mitdämpfen. Leider hatten sie dann keine
Kruste. Zu Krischtle passt auch die bessarabische Pfeffersoße
(Tomaten-Paprikagemüse).
Nudelsuppe mit Rindfleisch à la Hulda und Ella Faas
Besuchten wir unsere Tante Ella in Niedersachsen, wünschten wir uns zum Mittagessen Rindfleischsuppe mit selbstgemachten Nudeln. Ella besaß einen Küchengarten. Viel Grünzeug und Wurzeln wanderten in die Suppe, die nach der alten Heimat Bessarabien schmeckte, wie Oma Hulda stets schwärmte. Eigentlich war die Suppe ein nicht sättigendes "Hoftoressen". Sobald man vom Tisch aufgestanden war und über den Hof zum Tor lief, hatte man wieder Hunger. Damit es also kein Hoftoressen war, gab es dazu Bratkartoffeln (aus rohen Kartoffeln). Das weichgekochte Suppengemüse wurde mit Salz, Pfeffer und etwas Essig als Paste zum Fleisch gereicht sowie Salzgurken und -tomaten aus dem eigenen Fass.
Kleine Gerichte aus Bessarabien
Links oben: mit Knoblauch gebratener, hellgrüner Spitzpaprika,
lauwarm mit etwas Salz und Weißweinessig serviert.
Mitte unten: Pfeffersoße - ein mit Öl, Zwiebel, Knoblauch,
Chilipulver, Salz und Zucker geschmortes Tomaten-Paprikagemüse.
Vorgänger im 18. und 19. Jahrhundert war das mit Salz, Zucker und
Pfeffer gedämpfte Tomatengemüse.
Rechts oben: panierte Auberginenscheiben mit Joghurt-Knoblauchsoße.
Meine Großeltern nannten die dunklen Auberginen, "die Blaue". Sie
wälzten die Scheiben (die "Ringele") in Mehl oder Ei oder in beidem
und brieten sie in der Pfanne. Wir panieren sie am liebsten mit
Semmelbrösel.
Nudelsalat
Kartoffelsalat mit Gewürzgurken, Wurst und Mayonnaise war eine eher
russisch angehauchte Variante der bessarabischen Küche. Meistens
wurde eher der urschwäbische Kartoffelsalat serviert. Im Laufe der
Zeit, also etwa in den 1980er Jahren, setzte sich bei uns immer mehr
der Nudelsalat mit Mayo (bzw. Mayo mit Naturjoghurt) durch, mit
Paprikapulver, Pfeffer und getrocknetem Basilikum, Gewürzgurken,
Fleischwurst, rotem Paprika und Mais.
Oma Hulda bzw. die Bessaraber nannten Mais auch Welschkorn. Hulda
hatte oft Welschkorn-Reiten betrieben, d.h. ihr Pferd zertrampelte
die Maiskolben, woraus Maismehl gewonnen wurde. Sie hatte uns bis
zuletzt auch ganze gekochte Maiskolben mit Salz und Butter serviert.
Bessarabische Golubzi (Krautwickel)
Die Krautwickel bestehen aus frischen, blanchierten Weißkohlblättern, die mit Hackfleisch, geräuchertem Bauchspeck und Reis gefüllt sind und in einem Topf mit Zwiebeln und Speck angebraten werden. Danach werden sie mit Brühe und etwas Tomatenmark aufgefüllt, damit sie im Sud gar ziehen können. Dazu reichte meine Oma Hulda Faas selbst eingelegtes Sauerkraut und Salzkartoffeln. Hulda hatte wie viele andere bessarabische Hausfrauen auch saure Weißkohlblätter aus ihrem Fass verwendet. Früher wurden nicht nur Gurke, Tomate, Melone und Kürbis, sondern auch ganze und halbe Kohlköpfe sauer eingelegt. In Polen, Russland und der Ukraine bedeutet 'Golubzi' wörtlich übersetzt "Täubchen". Die Krautwickel werden so genannt, weil sie wie kleine Vögel aussehen.
Gefüllter Spitzpaprika (Pfeffer)
Meine Großeltern nannten die Paprikafrucht "Pfeffer" (wie im Englischen pepper). Pfefferschoten bzw. die schärferen Chilischoten, Knoblauch sowie Pfefferminzöl bei Erkältung wurden oftmals genutzt. Kolumbus hatte uns natürlich nicht nur die Tomate, sondern auch diese Frucht Ende des 15. Jahrhunderts mitgebracht. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Paprika hauptsächlich in der ungarischen Küche verwendet bzw. kurz danach auch in Rumänien und Bessarabien, sodass ich glaube, dass Hölderlin ihn wohl eher nicht kannte. Es sei denn, ihm wurden neue Gemüsesorten bereits 1802 im Hause des Konsul Meyer in Bordeaux serviert, bei dem Hölderlin als Hauslehrer angestellt war.
Im 18. Jahrhundert hatte Italien die Tomate bereits fest im Speiseplan, und da im Schwäbischen schon Teiggerichte aller Art gekocht wurden, könnte es sein, dass Hölderlin der "Liebesapfel" (pomme d'amour), wie ihn die Franzosen nannten, ebenfalls serviert wurde. Gefüllte Tomate mit Hackfleisch, Petersilie und Semmelbrösel dürfte wohl ein schwäbischer Vorgänger des gefüllten Paprika sein, den (wie auf dem Foto) die Bessaraber mit Hackfleisch und Reis füllten.
Bessarabische "Grüne Bohnensuppe" à la Hulda Faas
Wenn Oma Hulda eine Suppe aus Hülsenfrüchten kochte, dann benutzte
sie entweder getrocknete grüne Erbsen oder weiße Bohnen, die sie mit
Räucherspeck und pikanten fetten Würsten zubereitete, was in der
Zeit in Bessarabien nötig war, weil in der Landwirtschaft alle Leute
schwere körperliche Arbeit verrichten mussten und deshalb auch Fett
brauchten.
Heutzutage essen wir gerne eine klare Rindfleischsuppe mit frischen
grünen Bohnen, die fettarmer ist. Oma Hulda hatte nie ein
schwäbisches Linsengericht gekocht, wie mir irgendwann mal
aufgefallen war. Hölderlin hatte zu seiner Zeit natürlich saure
Linsen, aber auch Erbsen- und Bohneneintopf gegessen. Heute kochen
wir aber auch gerne Linsen mit Spätzle und Saiten.
Bessarabische "Borscht" à la Hulda Faas (Kohlsuppe)
Bei der bessarabischen Borschtsch scheiden sich wohl die Geister. Manche Bessaraber kochten sie mit Rote Beete, Dill und saurer Sahne, sehr nahe am russischen Rezept. Manche nahmen es nicht so genau. Was meine Großmutter Hulda "Borscht" nannte, ist eigentlich eine Rindfleischsuppe mit hauptsächlich Weißkohl, Tomaten, gelbem Paprika, Karotten, Kartoffeln und Reis. Am Tisch schüttet jeder nach seinem Geschmack flüssige Sahne in seine Suppe. Wir kochen die Borscht gerne im Winter, allerdings ohne Reis und Kartoffeln, essen sie aber mit einem Schluck Sahne, weil sie einfach noch leckerer ist.
Wir haben die Suppe auch schon mit Huhn gekocht, aber mit Rindfleisch
schmeckt sie uns besser. Hühnersuppe gibt es bei uns vor allem bei
Grippe sowie zu Ostern und in der Spargelzeit als Hühnerfrikassee.
A propos Huhn:
Hier noch zwei Tier-Anekdoten aus Bessarabien: meine Vorfahren und
natürlich auch meine Großeltern lebten im Einklang mit der Natur. Die
Tiere auf dem Hof und der Weide fühlten sich wohl. Meine UrGroßmütter
stellten manchmal tierische Besonderheiten fest. So lebte auf dem Hof
ein Huhn, dass seine Eier nicht im Stall bei den Artgenossen legen
wollte, sondern in einem Handtuch oben auf dem Küchenschrank. Das Huhn
flog durch das offene Küchenfenster. War das Fenster geschlossen,
pickte es so lange gegen die Scheibe, bis man ihm Einlass gewährte.
Und dann gab es ein Schwein, das nicht wie die anderen die
Rübenschnitze und Kartoffelschalen aus dem Trog fraß. Meine Großmutter
musste die Rübenschnipsel mit Wasser und Kleie zu kleinen Klößen
formen. Erst dann fiel das Schwein regelrecht über sein Fressen her.
Tja, jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Kratzete oder schwäbischer "Kaiserschmarrn"
Diese Art von Pfannkuchen essen wir nur süß mit Apfel- Rhabarber-
oder Pflaumenkompott.
Im Frühsommer zur Spargelzeit gibt es dünne Kräuterpfannkuchen bzw.
Crêpes mit weißem Spargel (aus Schwetzingen, Bruchsal oder der
Pfalz) und Schinken.
Napfkuchen
Ein einfacher Rührkuchen aus meiner Kindheit, den meine Großmutter
schon lange vor meiner Zeit ohne Rosinen, meine Mutter aber mit
Rosinen gebacken hatte.
Rosinen verwendete meine Großmutter im Hefekuchen (Gugelhupf).
Ich mag beide Varianten.
Tante Emma-Kuchen
Es gab bei uns keine Tante names Emma - soweit ich mich erinnere,
aber Tante Gertrud vom Chiemsee. Ich weiß nicht, warum dieser Kuchen
Emma heißt, aber er gehört seit jeher zu unserem Repertoire. Mit
Sauerkirschen, Haselnüssen, Schokolade und dunklem Rum ist er einer
unserer Favoriten. Schlagsahne darf hier auf der Kaffeetafel auch
nicht fehlen.
Käsekuchen
Mit Quark, Vanillepuddingpulver und flüssiger Butter ist dieser Kuchen ganz nach unserem Geschmack. Zartschmelzend...
Spitzbuben
Auch die Spitzbuben dürfen zu Weihnachten nicht fehlen.
Meine Großmutter Hulda hatte sie immer mit Himbeer-Gelee gefüllt.
Walnusskipferl und Buttergebäck
Meine Großmutter Hulda Faas sowie ihre Mutter hatten die Kipferl am
liebsten mit eigenen Walnüssen aus dem Garten gebacken. Der Teig,
der ansonsten nur aus Butter, Mehl und Zucker besteht, garantiert
schöne mürbe Plätzchen.
Das Buttergebäck enthält noch ein Ei und Vanille.
In Bessarabien kamen regelmäßig fahrende Händler in den Dörfern
vorbei und boten neben vielen Alltagsdingen, die die Dorfbewohner
nicht selbst herstellen oder anpflanzen konnten, auch exotische
Gewürze an.
Altmärkische Hochzeitssuppe aus Salzwedel (um 1900 und früher)
Diese Suppe servierte früher meine Verwandtschaft väterlicherseits
(Tante Waltraut) als Vorsuppe im Festmenü bei traditionellen
Hochzeiten auf dem Lande. Eine kräftige Hühnerbrühe mit
Schweinemettklößchen, feldfrischem Spargel und selbstgemachtem
Eierstich aus dem Einmachglas, mit Petersilie oder Schnittlauch
garniert. Diese Geschmackskombination erinnert mich generell an
große Familienfeiern aus meiner Kindheit. Meine Verwandtschaft isst
die Suppe auch als Hauptmahlzeit. Die Einlage wird mit Nudeln,
Hühnerfleisch und Karotten erweitert, damit sie sättigt.
Bei großen Feiern gibt es nachts Kuchen und Torten wie am Nachmittag
mit starkem Mokka, der die Gäste wachhalten soll.
Semmelknödel mit Rahmpilzen
Die Patentante meiner Mutter, die liebe Tante Gertrud, zog es in
den 1950er Jahren an den Chiemsee, wo sie uns ihre Semmelknödel
serviert hatte.
Die Schwiegeroma Maria aus Passau hatte Semmelknödel ebenfalls im
Standard-Repertoire sowie Gerichte mit Pilzen. Die Pilze hatte sie
mit Opa Otto natürlich auch selbst im Wald gesammelt.
Wir lassen im Knödelteig Speck und gebratene Zwiebeln weg, fügen nur
frische Petersilie hinzu. Zwiebeln und Speck landen aber meistens im
Pilzgemüse.
Elsässer Zwiebelkuchen à la Karolina Biffart (Urgroßmutter)
Zwiebelkuchen ist nicht nur eine schwäbische Spezialität, sondern
wurde auch von meinen bessarabischen Verwandten mit französischen
Wurzeln, den Biffarts, mit Speck, Zwiebeln, Lauch (Porree) und evtl.
Schnittlauch oder Frühlingszwiebeln je nach Jahreszeit zubereitet.
Karolina Biffart, geborene Bauer, war eine meiner Urgroßmütter. Sie
war mit meinem Urgroßvater Adam Biffart verheiratet, der im Ersten
Weltkrieg kämpfte. Ihr Sohn (mein Opa mütterlicherseits), der auch
Adam hieß, kämpfte im Zweiten Weltkrieg und heiratete Hulda Faas,
die Verwandte Hölderlins, Theodor Heussens und des französischen
Ehemanns der dänischen Königin Margrethe II. (siehe das
Stammbaum-Foto meiner Familie auf der Startseite unter der
Stammbaumseite).
Mein Urgroßvater in 7. Generation (1680-1785), Peter Biffar(t), frz. Pierre Biffart, Bürgermeister und Gerichtsverwandter in dem Pfälzer Dorf (zeitweise französischer Boden), in dem ich aufwuchs, und sein Enkel Adam Biffart, der in der königlichen Kavallerie im Mannheimer Schloss als Rittmeister Karriere machte, heiratete eine Frau aus Hambach/Pfalz (Hambacher Schloss), Marie Lambert. Der französische Einfluss kam seit 1650 in meine schwäbische Linie, der irische Einfluss wohl schon sehr viel früher im Mittelalter. Leider wurden zur Zeit der vielen Glaubenskriege auch viele mittelalterliche Kirchenbücher verbrannt. Unser ältester Nachweis ist bis jetzt Konrad Spring (* 1503).
Keine Wollsocken!
Hölderlin scheint noch immer ein bestrickendes Wesen zu haben,
dennoch las ich in einem Brief Ernst Zimmers, dass Hölderlin (genau
wie ich) keine dicken Wollsocken mochte. Wollsocken kratzen meistens
und sind wohl zu warm. Da dampfen einem ja förmlich die Socken schon
beim Hinsehen! Ja, das kenne ich nur zu gut und ich verstehe
Hölderlin vollkommen. Da gibt es noch ein paar weitere
Familienmitglieder, die dieser Meinung sind.
Ernst Zimmer schrieb der Familie, dass er Hölderlin bis jetzt nicht
dazu bringen konnte, Wollsocken zu tragen, aber falls sich Hölderlin
eines Tages doch noch dazu überreden ließe, dann könne man ihm
vielleicht als Weihnachtsgeschenk mal ein neues Paar stricken.